„Bitte Ruhe, Esel schläft!“ steht in großen Blockbuchstaben auf dem Pappschild. Die Aufforderung ist durchaus ernst gemeint – das wissen auch die zwei Dutzend Kunden, die seit dem frühen Morgen vor Amad Bedus improvisiertem Büro Schlange stehen. Sie alle respektieren die Bedürfnisse des weißen Eselhengstes Nifnif – denn sie alle brauchen seine Hilfe. Und zwar dringend: „Ich muss in drei Tagen umziehen“, flüstert gerade ein älterer Herr. Bedu nickt und rechnet aus: Samt Kleiderschrank, Bett und Waschmaschine sind das für Nifnif fünf Touren mit dem großen Karren. Ein guter Auftrag. Und nicht der letzte an diesem Tag: Zwei Schulbus-Touren soll der Esel übernehmen und acht Taxi-Fahrten. Die Eillieferung von frischen Marktwaren an ein Restaurant im Nachbarort allerdings lehnt Bedu ab: „Das ist wirklich zu viel – Nifnif braucht regelmäßige Pausen....“
Auch ansonsten hat Nifnif alles ,was er braucht. Seit Israel vor zwei Jahren ein Wirtschaftsembargo über den Gaza-Streifen verhängte, sind Esel das Wertvollste, was ein Mann besitzen kann. Mittlerweile gelangen nur noch 17 Prozent des benötigten Benzins in die Region – zu einem Literpreis von umgerechnet sechs Euro. Ersatzteile für Autos gibt es kaum – wer fahren will, braucht einen Esel. „Es gibt Esel-Taxis, Esel-Schulbusse, Esel-Umzugswagen“, sagt Amad Bedu. Selbst die Müllabfuhr setzt Esel ein: Seit September sind 190 Tiere samt Treibern im Dienst – denn auch 65 Prozent der Müllwagenflotte sind lahmgelegt.
Inzwischen sind die Preise für Esel um zwei Drittel gestiegen. Weiße Tiere stehen besonders hoch im Kurs – sie wechseln nicht unter 1.000 Euro den Besitzer, denn im Glauben der Palästinenser bringen sie „tausendfach frohes Erwachen“. In der Stadt prangt an fast jedem zweiten Pkw ein Schild: „Verschenke Auto, suche Esel!“, und auf den Viehmärkten feilschen die Menschen zu Dutzenden um die Tiere – selten geht ein Handel ohne Handgreiflichkeiten aus.
„Esel bedeuten Macht“, sagt Amad Bedu. Das hat Tradition im Gaza-Streifen: Schon der berüchtigte Dugmusch-Klan betrieb in den 90er-Jahren einen Lieferdienst mit Eselgespannen – Lebensmittel fuhren die Männer aus, später Zigaretten, Drogen, Waffen. Mit mafiaähnlichen Methoden verdrängten die Dumuschs ihre Konkurrenz – wer kaufen wollte, musste sich von ihnen beliefern lassen, per Eselkarren. So weit wird es wohl nicht wieder kommen: Die Regierung hat sicherheitshalber den Besitz von Eseln limitiert: Mehr als 150 Tiere darf keine Familie halten. Wirtschaftsembaro hin oder her.